Müssen wir wieder richtig lesen lernen?

Veröffentlicht am: in der Kategorie: Gehirn und Neurologie

Maryanne Wolf enthüllt in dem neuen Buch "Das lesende Gehirn" die neurowissenschaftlichen Abläufe und Prozesse die beim Lesen im Gehirn statt finden.

Müssen die Menschen wieder richtig lesen lernen? Was ist besser: langsames oder schnelles Lesen?

Zu diesem Thema führte die FAZ ein interessantes Interview mit der Bildungsforscherin Maryanne Wolf.
Das Lesen an sich ist in uns Menschen nicht so genetisch verankert wie das Sprechen. Für die Sprache ist der Mensch programmiert. Die Schrift hingegen ist eine Eigenständige Erfindung des Menschen, und muss somit von Grund auf erlernt, und geübt werden. Der Leser muss die Schriftzeichen erkennen, mit Lauten in Verbindung bringen, das Wort identifizieren und mit der Bedeutung in Verbindung bringen. Dabei entstehen völlig neue Vernetzungen in unserem Gehirn.

Die verschiedenen Stufen der lese Fähigkeit gilt es hierbei zu unterscheiden. Zum einen gibt es den „Leseanfänger", welche im frühen Stadium des Leselernens vorherrscht. Seine volle Konzentration und Aufmerksamkeit wird hier von dem Leseprozess an sich beansprucht, also dem umwandeln von gesehenen Schriftzeichen in die zugehörigen Sätze mit Bedeutungen. Entwickelt sich der Leser weiter, wird er zum „Leseexperten". Hier ist das Gehirn nicht mehr mit dem Lesevorgang an sich ausgelastet, sondern Nutzt die übrigen Kapazitäten um das gelesene zu interpretieren, und mit der eigenen Phantasie zu verbildlichen.


In der heutigen Zeit scheint jedoch neben diesem vom „Leseexperten" geprägten intensiven Lesen, welches den Text in erlebte Bilder umwandelt, durch den digitalen Informationsfluss eine weitere Art des Lesens auf dem Vormarsch zu sein. Dieses informationsbezogene Lesen erfolgt eher wie das sprunghafte Scannen mehrerer Inhalte auf deren Informationsgehalt. Ein gutes Beispiel sind ist das Suchen bei google: Um die gewünschte Information zu finden, werden die besten Sucherresultate häufig zeitgleich in verschiedenen Fenstern geöffnet und vom Nutzer nach der Antwort überflogen „ab gescannt". Hier ist keine Zeit zu verbildlichen einzelner Textpassagen. Vor allem bei der jüngeren Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, gewinnt diese Art des Lesens die überhand. Doch lernen diese Generationen überhaupt noch das intensive Lesen?


Für das Menschliche Gehirn ist es förderlich wenn der Text materialisiert ist, dass heißt, wenn das Gelesene mit einem Bestimmten Gegenstand, in dem Fall Buch oder Zeitschrift, in Verbindung gebracht werden kann. Somit muss nicht der Text an sich gespeichert werden, sondern wird mit weiteren Informationen, wie dem Buchcover, der Form oder auch dem Ort an dem es gelesen wurde verknüpft. Der digitale Text aus dem Internet stößt hier an seine Grenzen, da er nicht gefühlt, angefasst werden kann. Zum Lernen sind somit Bücher unverzichtbar.


Aber auch diejenigen, die über das Stadium des „Leseanfängers" hinaus sind, und sich selbst eher als „Leseexperten" sehen laufen Gefahr, in der hecktischen heutigen Zeit, durch die Flut an Informationen das Intensivlesen zu verlernen. Setzen Sie sich also auch mal in Ruhe hin, um in einem Buch zu schmökern. So können auch Sie das intensive Lesen weiter lernen.

Autor=Maryanne Wolf,
Titel=Das lesende Gehirn
ISBN=3827421225