Governance in Mittelalter und früher Neuzeit LS 5

  • Veröffentlicht am
  • by
  • auf
Räume waren für die Geschichtswissenschaft zunächst geographische Räume, in denen Ereignisse und Zusammenhänge beobachtet wurden. Daraus leitete auch die Historische Geographie ihre Berechtigung her. Dabei waren die rein geographischen Kategorien die Grundlage, auf der menschliches Handeln beschreibbar wurde. Die Geschichtswissenschaft hat sich im Laufe der Zeit von diesen geographischen Kategorien insoweit gelöst, als daß die Historische Geographie nicht mehr allgemein maßgeblich war und nur noch für Spezialforschungen herangezogen wurde. Mit den Veränderungen in der Fragestellung der modernen Geschichtswissenschaft kam es mit einem besseren Verständinis von sozialen Dynamiken auch zu einer neuen Notwendigkeit, auf den Raum zu rekurrieren. Es wurde aber klar, daß auch dieser mit den veränderten Fragestellungen neu zu definieren war. Raum ist nun nicht mehr der topographisch-politische Raum allein, sondern kann definiert werden als das Ergebnis von sozialem Handeln und der jeweiligen Vorstellung von Räumen, die mit diesem Handeln verbunden ist. Im Ergebnis ist die historische Karte nicht mehr die (fast) unveränderliche Basis der weiteren Geschichtswissenschaft. Raum ist in höchstem Maße definabel geworden, weil er nicht mehr den Ausgangspunkt der Vorstellung vom menschlichen Handeln darstellt, sondern auch ihr Ergebnis. Für die Vormoderne bedeutet das, daß Räume zwar - wegen geringerer Mobilität - meist noch geographisch kartierbar sind, sie aber nicht mehr eindeutig sind und sich vielfach überlagern können, und das wegen der Vielzahl von relevanten Kriterien. Für das Mittelalter bedeutet das, daß etwa Lotharingien (mittelbar das heutigeLothringen) zwar nur eine kurze Zeit lang einen politisch gefaßten Raum darstellte, nämlich das Reich des Karolingers Lothar, aber dennoch in der Vorstellung ein Raum blieb. Heute würde man eine Karte des Frankenreiches der Merowinger vielleicht neu zeichnen müssen, weil die Gebiete östlich des Rheines zwar in irgendeiner Weise tributär warem, aber wohl nicht integrativer Bestandteil des Merowingerreiches selbst. Die Bedeutung von topographischen Bedungungen ist zwar auch im Mittelalter wichtige. Flüsse, Täler und Bodenbeschaffenheit sind solche Bedingungen; aber entscheidend ist letztlich der soziale - mithin rechtliche und wirtschaftliche - Zusammenhang. Wo ist die Kirche, zu der man geht? Ist die kirchliche Organisation maßgeblich oder aber eine davon im Mittelalter oft abweichende politisch-weltliche Organsiation? Bilden Bistümer, die seit dem späten Mittelalter auch weltliche territoriale Herrschaften darstellen, nun aus kirchlichen oder aus weltlich-politischen Gründen einen Raum? Inwieweit werden Räume über die rein politischen Territorien hinweg von Bünden, etwa Städtebünden konstituiert? Ein Beispiel dafür ist der Hanseraum. Der soziale Raum von Akteuren der gesellschaftlichen Elite des Frankenreiches folgt nicht immer politischen Einteilungen und konstituiert eine Art Europa, bevor dieses Europa ein Europa der Vorstellung war. Welche Rolle spielen Vorstellungen von Raum, etwa die Vorstellung mittelalterlicher Gesellschaften, in Kontinuität zum (antiken) römischen Reich zu stehen, das geographisch ja nicht identisch war, dessen Geschichte man aber als die Eigene ansah? Geschichte - Mittlere und Neuere Geschichte Universität Siegen 20131 SoSe 2013 Dr. Strothmann Jürgen