Religiöses Lehren: anamnetisches Lernen

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„Während »Amnesie« das Vergessen von Erfahrungen oder Lücken im Gedächtnis bezeichnet ..., bedeutet anamnetisches oder erinnerungsgeleitetes Lernen das Wiedererinnern, Vergegenwärtigen und Gedenken früherer Ereignisse, um daraus Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft zu ziehen." (Leimgruber 2010, S.366). Ein solches Lernen kann mit Blick auf die gegenwärtig breit thematisierte Relevanz der Erinnerung als ein das Subjekt sowohl ent- als auch erhaltende Vermögen als leitende (Wunsch-) Vorstellung jeder pädagogisch sich legitimiert wissen wollender Lehre gelten.

Unter dem Aspekt der Überlieferung von Tradition erscheint es aber auch als ein zentrales Ziel und eigene Aufgabe im religiösen Bildungsbereich. Umso mehr überrascht der historische Sitz im Leben dieses Prinzips der Religionsdidaktik: Die Thematisierung des „anamnetisches Lernens" resultiert in der christlichen Theologie in erster Linie aus einem Schock - ausgelöst durch den konkret historischen Fall der Shoah, der in ultimativer Weise propagierten und praktizierten Judenvernichtung in Deutschland.

Die Einsicht, dass insbesondere die christliche Theologie quer über die Jahrhunderte eine jüdische Polemik und anti-jüdische Propaganda tradierte, die durch das Nazi - Regime gnadenlos vergegenwärtigt, realisiert und praktiziert wurde, rückt die Tatsache des „anamnetisches Lernens" im Kontext religiösen Lehrens in ein eigenes, gebrochenes Licht. Wurde in und von der christlichen Religion die anamnetische Struktur insbesondere in der Liturgie, im Hochgebet („Tut dies zu meinem Gedächtnis") realisiert, war diese bis kurz vor dem II. Vatikanum gleichsam der Raum, an dem der theologische Topos von den "perfiden Juden" regelmäßig wiederkehrend zum Einsatz und Ausdruck kam. „Inzwischen hat sich eine „Religionspädagogik nach Ausschwitz" etabliert, ... , die sich das Erinnerungslernen als zentrale religionspädagogische Aufgabe gestellt hat, weshalb sie auch „anamnetische" bzw „erinnerungsgeleitete Religionspädagogik" genannt wird" (Boschki 2008, S.106).

Dieser Aufgabe standen und stehen auch heute diverse „Abwehr - Argumente" entgegen. Inhalt des Seminars wird sein, sich mit erwartbaren Aussagen der „ 5. Generation danach", aber auch der vorangehenden und damit den eigenen Vor - Urteilen, Einprägungen und -stellungen auseinanderzusetzen. Das Ausmaß der Aufgabe auch im Innenraum der Theologie, der Rede von Gott selbst, ist ebenso auszuloten wie die Schwierigkeit, als Lehrkraft bei der Umsetzung insbesondere zwei „...Gefahren ... die der Objektivierung und die der Moralisierung" (Boschki 2005, S.103) zu vermeiden, sowohl reflektiert als auch an ausgewählten Themen des Lehrplans und exemplarischen Inhalten anprobiert werden soll. Ideen sind zu finden, wie formulierte „Leitlinien für religiöse Erziehung und Religionspädagogik nach Ausschwitz" (Boschki 1997, S.144ff.) in der konkreten Unterrichtsgestaltung umgesetzt werden können.

Literatur:

Stefan Leimgruber: Erinnerungsgeleitetes Lernen, in: Religionsdidaktik (Hrsg.: Hilger, G.; Leimgruber, S.; Ziebertz, H.-g.), München 2010, S. 365-373

Reinhold Boschki: Das Schweigen Gottes in Ausschwitz. Religiöse Erziehung und Religionspädagogik nach der Schoah, in: Ist die Vergangenheit noch ein Argument? Aspekte einer Erziehung nach Ausschwitz (Hrsg.: Boschki, R.; Konrad, F.-M.), Tübingen 1997, S.119-160 Ders.: Bedingungen und Möglichkeiten einer anamnetischen Kultur in Europa, in: Religionspädagogische Beiträge 55/2005, S.99-112 Ders.: Einführung in die Religionspädagogik, Darmstadt 2008 Bemerkung MPO 2006 - Kath. Theologie: L1, L2,L3, L4 / M7, M9, M28, M41, M43, MPO 2011 - Kath. Theologie: L1, L2, L3, L4 /M13, M14, M15 MPO 2013 - Kath. Theologie: L1, L2, L3, L4 / M15 FB 02 Institut für Katholische Theologie Uni Kassel SoSe 2013 Kat.Religion Kat. Religion NF