Beziehungen, Erfahrungen und das Lernen
Veröffentlicht am: in der Kategorie: Besser Lernen
Welche Rolle spielen Erfahrungen aus Beziehungen beim Lernen? In diesem Dialog zweier Wissenschaftler wird klar, dass das Lernen ohne emotionalen Hintergrund nicht funktionieren kann.
GH: Objekte. Die wir nach unseren Vorstellungen zurechtformen. Wenn das Bildung sein soll, dann muss ich sagen, es wird höchste Zeit dass das aufhört. Eine unserer großen Irrtümer möglicherweise, dieses gegenwärtigen Bildungssystems besteht vielleicht darin, dass wir gedacht haben, dass man etwas lernen kann, ohne dabei Gefühle zu haben. Das ist alles altes Denken. Was im Hirn passiert ist: durch Erfahrungen, die ich in einer Beziehung mache, zum Beispiel mit Ihnen oder aber als Kind mit Gegenständen, mit mir selbst, also immer dann wenn ich mit irgendetwas in Beziehung trete, mache ich eine Beziehungserfahrung. Und diese Beziehungserfahrung wird im Gehirn verankert in Form eines Beziehungsmusters, das sich dann zwischen den Nervenzellen ausbildet.
Das ist etwas ganz großartiges. Weil das heißt, dass etwas ganz immaterielles, das muss Sie als Philosoph völlig aus dem Häuschen bringen, dass etwas immaterielles - nämlich eine nackte Erfahrung zu etwas materiellen umgewandelt wird. Etwas geistiges wird zu einem materiellen Substrat, nämlich zu einem bestimmten Vernetzungsmuster und das benutze ich wiederum um etwas geistiges hervorzubringen.
Das heißt Kinder verwandeln sozusagen dadurch, dass sie sich in Beziehung zu etwas setzen, im Hirn bauen die Strukturen auf mit deren Hilfe sie sich dann in der Welt zurechtfinden. Und das nennt man eine Erfahrung. Was das für Transmitter die dabei eine Rolle Spielen ist relativ uninteressant. Eines ist wichtig, nämlich nachhaltig können sich diese Vernetzungen im Hirn immer nur dann aufbauen, wenn im Hirn sozusagen eine Art Dünger ausgeschüttet wird. Das Hirn, hat man halt gemerkt, ist plastisch, es formt sich und kann zeitlebens noch etwas dazu lernen. Und dann hat man aber gemerkt, das geht nicht von allein und es nutzt nichts wenn man sich anstrengt. Das Gehirn ist kein Muskel, den kann man nicht trainieren.
RDP: Das ist glaube ich ein Warnsignal für die Eltern, die denken, sie müssten ihre Kinder im Alter von einem oder zwei Jahren mit Geige beschallen und gleichzeitig möglichst französisch reden, damit das Kind schon mal das Gespür dafür bekommt, das ist diese Vorstellung, dass kindliche Gehirn sei ein Muskel.
GH: Das ist Hirnmechanik aus dem vergangenen Jahrhundert. Die neue Botschaft heißt und die ist für viele natürlich ein bisschen unbequem, man kann im Hirn nachhaltig nur dann etwas vernetzen, neue Strukturen aufbauen, wenn es einem unter die Haut geht!
RDP: Wenn wir davon ausgehen, wer wir in der Pubertät waren, und ich überlege was habe ich im achten Schuljahr gelernt, also in dem Alter in dem ich mich zum ersten mal auf den Schulhof verliebt habe, dann kann ich mich an die Verliebtheit auf dem Schulhof sehr sehr gut erinnern. Aber der Inhalt des ohmschen Gesetzes oder die goldene Bulle, die weiß ich vielleicht heute aus anderen Quellen, aber aus der Schulzeit habe ich sie nicht in Erinnerung. Obwohl der Stoff aus dem achten Schuljahr ist. Und das ist ja unglaublich, ich könnte ja jedes Schuljahr durchgehen, den Schulstoff quer durch die Bevölkerung abfragen und Sie werden erstaunt, dass im Grunde genommen fast nichts hängen geblieben ist. Das hat man schon mal irgendwo gehört oder konnte man bei Günter Jauch aus vier verschiedenen Antworten aussortieren, aber das ist ja keine Bildung. Bildung ist ja nur das, was mit Hilfe von Emotionen Begeisterung entsprechend ausgelöst hat und dadurch auch wirksam in mir geblieben ist. Und vielleicht übertragen gesprochen auch ein Teil meiner Persönlichkeit geworden ist und nichts angelerntes ist. Ich bin bei aller Sympathie für ihre Gedanken, ein ketzerisches Gedankenspiel wagen.
Stellen wir uns mal vor, Sie hätten Erfolg. Nicht nur Sie, sondern die, die versuchen alles das was wir aus der Hirnforschung wissen, was wir aus der Entwicklungspsychologie wissen, das was wir an schönen kreativen Vorstellungen haben wie Lernen funktioniert, wenn wir uns die Modellschulen betrachten, von den die eine oder die andere das schon relativ gut umsetzt, wenn das tatsächlich diesen gewünschten Siegeszug antritt. Würde das vermutlich bedeuten, dass wir ein eingliedriges Schulsystem haben - also Gesamt- oder Gemeinschaftsschulen und es würde als zweites Bedeuten, dass wir mit Frühförderung im Kindergarten entsprechend anfangen. Und zwar nicht mit der Förderung im Sinne von Gehirn als Muskel, sondern im Sinne von Coaching, von Neugier machen, diejenigen Kinder die aus bildungsfernen Haushalten rechtzeitig unter die Arme greifen, deren Geister und Neugierpotenzial erwecken. Wenn wir das alles tun, dann haben wir am Ende achtzig Prozent Abiturienten. Und das ist auch wahrscheinlich für viele Menschen nicht nur eine schöne Vorstellung, sondern eine Vorstellung die ihnen Angst macht. Denn unter diesen Umständen wäre das Abitur als Qualifikation nicht mehr besonders viel Wert. Und der Gedanke, dass wir jetzt über achtzig Prozent Abiturienten haben, überhaupt nicht verlockend. Denn wie ist es dann danach mit den Eliteuniversitäten in England, wo ich mein Kind hinschicken will. Was ist ein deutscher Schulabschluss noch wert, wenn ihn Jeder machen kann. Oder anders ausgedrückt, was ist ein Goethe Zitat wert, wenn das Kind eines jeden Bauarbeiters es im Munde führt?
Also man darf glaube ich das Gift, das im Bildungsbegriff ist drin ist, als Distinktionsbegriff Begriff, als Abgrenzungsbegriff nicht unterschätzen. Und selbst wenn Sie das schaffen Schuldirektoren zu begeistern, selbst wenn es diese Graswurzelbewegung gibt, dann wird es dennoch eine starke Gegenbewegung geben, nämlich der Eltern, die diese Form der Bildungsgerechtigkeit nicht wollen. Die wollen vielleicht, dass das eine oder das andere begabte Bauarbeiterkind eine Chance hat, immerhin ist man ja ein guter Mensch, aber man möchte keine tatsächliche Gerechtigkeit in der Gesellschaft haben. Sehen sie da nicht einen Gegner?